Kantaten-Gottesdienst mit J.S. Bach (1685 - 1750) - „Herr Jesu Christ, wahr Mensch und Gott“ (BWV 127)

 

Solisten/Solistinnen

Projektorchester

Johannes-Kantorei Merzhausen

Jonathan Förster, Leitung

 

Die Choralkantate BWV 127 schrieb Bach in seinem zweiten Amtsjahr in Leipzig für den Sonntag Estomihi, den Sonntag vor Aschermittwoch, und führte sie am 11. Februar 1725 erstmals auf. Der Kantatentext basiert auf dem Sterbelied in acht Strophen von Paul Eber (1562). Das Lied betrachtet den Weg Jesu nach Jerusalem als Vorbild für den Weg des Glaubenden zu seinem eigenen erlösten Ende. Auch für den Bach-affinen Musikfreund ist es immer wieder erstaunlich, wie es der Thomaskantor schaffte, mit immer neuen Ideen seinen Zuhörern neue Welten zu erschliessen. Die Kantate berührt den Rand aller Welten, den Tod nämlich, und vermittelt in der Sopranarie Nr. 3 „Die Seele ruht in Jesu Händen“ etwas wie ein musikalisches Nahtod-Erlebnis. Die Arie zeichnet sich durch eine erlesene Instrumentation aus: Eine Solooboe und der Sopran bilden ein Duett, der Hintergrund besteht aus delikaten Akkorden der Blockflöten und des Continuo, die Sterbeglocken symbolisieren sollen. Im Rezitativ Nr. 4, das sich zur ausgewachsenen Bassarie entwickelt, der eine Solotrompete besonderen Ganz verleiht, überschreitet die Kantate dann diesen Rand: In beinahe zügelloser Freude darf ein kurzer Blick in die Ewigkeit geworfen werden. Und das alles geschieht innerhalb von rund zwanzig Minuten! Sie weist enge Beziehungen zur Johannespassion auf, die in ihrer zweiten Fassung am Karfreitag 1725 erklang. Die Kantate gehört in formaler Hinsicht und in Blick auf Textausdeutung und Instrumentation zu den erstaunlichsten Vokalwerken Bachs. Schon der Eingangschor stellt mit seiner vielschichtigen Konstruktion eine würdige Vorstufe für die Choralfantasie „O Mensch bewein dein Sünde groß“ dar. Bei den Textworten „Ich breche mit starker und helfender Hand“ wird unverkennbar der Chor „Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden“ aus der Matthäuspassion vorweggenommen.

Jonathan Förster