Bild 1 J.S. Bach, 1748

Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)

 

Weihnachtsoratorium BWV 248

für Solostimmen (SATB), Chor und Orchester, Kantaten I, V, VI

 

J. S. Bach hat dieses sechsteilige Oratorium zur Jahreswende 1734/35 in Leipzig uraufgeführt. Die Kantaten I  bis VI  wurden vom Thomanerchor in den sechs Gottesdiensten zwischen dem ersten Weihnachtstag und dem Epiphaniasfest (Dreikönigsfest, 6. Januar) gesungen.  Es handelt sich um eine Vertonung der neutestamentlichen Weihnachtsgeschichte. Dabei prägen feierliche Eröffnungs- und Schlusschöre, Rezitative, bekannte Weihnachtschoräle und Arien der Gesangssolisten das Oratorium.

Die zugrundegelegten Bibeltexte der aufgeführten Kantaten I, V und VI, die die dramatischsten Partien des Weihnachtsoratoriums enthalten, sind:

Kantate I - Anfang der Weihnachtsgeschichte nach Lukas (Lukas 2, 1 und 3-7) mit der Volkszählung von Kaiser Augustus und der Geburt Jesu in Bethlehem

Kantate V - Suche der Weisen aus dem Morgenland nach dem neugeborenen König (Matthäus 2, 1-6)

Kantate VI - Falschheit des Herodes; Anbetung und Heimkehr der Weisen (Matth. 2, 7-12).

 

J.S. Bach, geb. 1685 in Eisenach, stammt aus einer weitverzweigten Musikerfamilie, deren Angehörige seit dem 16. Jh. in Thüringen als Stadtpfeifer, Organisten und Kantoren wirkten. Nach jeweils  längeren Lebensabschnitten in Hamburg/Lüneburg, Arnstadt, Mühlhausen, Weimar, Anhalt-Köthen trat er 1723 die Stelle des Kantors an der Leipziger Thomasschule an, wo er die verbleibenden 27 Jahre seines Lebens arbeitete, bis zu seinem Tod 1750. Das einzige gesicherte Ölgemälde von J.S. Bach stammt von E. G. Haußmann, 1748. (siehe Bild 1) (Erkennbar ist Bach an dem Notenblatt, das er in der Hand hält: es ist sein „Canon triplex a 6 voc.“)

Zu seinen Aufgaben gehörten die Leitung des schon 1212 unter Kaiser Otto dem IV. gegründeten Knabenchors an der Thomaskirche sowie Vorbereitung und Durchführung von Kantatenaufführungen an allen Sonn- und Feiertagen in den vier Hauptkirchen der Stadt. Die meisten Kantaten dafür hat Bach selber komponiert, sein wichtigster Textdichter war C.F. Henrici (Pseudonym Picander, 1700-1764).

 

Bach hat offenbar in den ersten beiden Jahren in Leipzig im Schnitt wöchentlich ein Werk geschaffen. Insgesamt sind zwei vollständige Kantaten-Jahrgänge überliefert, dazu noch viele weltliche Kantaten zu anderen feierlichen Anlässen, wie z.B. das Dramma per Musica  «Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!» (BWV 214), geschrieben für den Dresdner Hof des Kurfürsten August II. von Sachsen zum Geburtstag von Kurfürstin Maria Josepha, am 8. 12. 1733.

 

Gleichsam wie eine Klammer umschließen zwei Choräle mit derselben Melodie, aber verschiedenen Unterchören und Instrumental-Begleitungen und daher ganz unterschiedlicher Ausdrucksweise das Weihnachtsoratorium:

Das ist der Choral aus der ersten Kantate „Wie soll ich dich empfangen“ und der Schlusschoral der sechsten Kantate „Nun seid ihr wohl gerochen“. Beiden liegt die Melodie zugrunde, die man aus der Matthäuspassion kennt, „O Haupt voll Blut und Wunden“.  Warum dieser Passionschoral im Weihnachtsoratorium?  Hat Bach hier ganz bewusst Verheißung, Geburt und Tod zusammengeführt. Er selbst hat sich nicht dazu geäußert. Man weiß nur, dass diese Melodie von Hans Leo Hassler zu Bachs Zeit noch keine ausgesprochene Passionsmusik war, sondern in erster Linie ein Adventslied und darüber hinaus zu vielen anderen Liedern, auch Tanzliedern, in den Liederbüchern notiert war.

„Wie soll ich dich empfangen und wie begegn‘ ich dir?“ darin birgt sich noch all das Geheimnisvolle, das Sehnsüchtige der Adventszeit, es wird ganz introvertiert vorgetragen. Der Bach‘sche Choralsatz mit dieser Melodie steht in einer modalen Tonart, der phrygischen Kirchentonart, und erhält dadurch einen ganz eigenen harmonischen Ausdruck . („modal“ – alte Kirchentonarten wie phrygisch, lydisch, dorisch; „tonal“ – Dur- oder Moll-Tonarten.) Der phrygische Schluss, insbesondere in der Chor-Alt-Stimme, enthält die Spannung zwischen Erwartung und Erfüllung.

 

Wie anders dagegen erklingt die gleiche Melodie im Schlusschoral des Oratoriums „Nun seid ihr wohl gerochen“. Bach baut ihn zu einer in D-Dur strahlenden instrumentalen Siegeshymne aus. Alle Feinde sind besiegt: „Denn Christus hat zerbrochen, was euch zuwider war. Tod, Teufel, Sünd‘ und Hölle, sind ganz und gar geschwächt“. Die Trompete triumphiert virtuos in höchsten Tönen. Es ist fast ein Trompetenkonzert mit Choreinschüben.

In Glanz und Strahlkraft schließt der Schlusschoral mit Pauken und Trompeten auch den Kreis zum Eingangschor. Also ist er eine musikalische Klammer im doppelten Sinne, zum Eingangschor und zum ersten Choral „Wie soll ich dich empfangen“.

 

Als Besonderheit ist hier der Autograf von Bach abgebildet:

Bild 2 - Autograf von Bach

zu Kantate I

Mit dem bekannten Text des Rezitativs, »Es begab sich aber zu der Zeit«, beginnt die Erzählung der Weihnachtsgeschichte. Maria bereitet sich auf die Geburt  vor. In  einem Accompagnato-Rezitativ für zwei Oboen d’amore, Alt und Continuo reflektiert Maria (=Alt-Solo) über die »zum Heil der Erden« bevorstehende Geburt. Die Alt-Stimme hat hier, wie auch an vielen anderen Stellen des WO, eine besondere Bedeutung als Symbol Marias; sie steht für die sehnsüchtige Erwartung und die gläubige Erfüllung in der Gewissheit im Glauben.

Bach hat im Parodieverfahren (so heißt in der Barockmusik und in der Klassik die Umgestaltung eines musikalischen Werks, um es für andere Zwecke verfügbar zu machen oder anderen Klang-/Text-Vorstellungen anzupassen) Teile des oben erwähnten Geburtstagslieds für Maria Josepha (BWV 214) ins Weihnachtsoratorium (WO, BWV 248) übernommen, z.B. den Eröffnungschor „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“. Der sehr festliche, jubelnde Instrumental-Beginn erhält seine besondere Fröhlichkeit durch den ungewöhnlichen Einsatz von solistisch tönenden Pauken und fröhlich erschallenden Trompeten. Im Original-Notenblatt (siehe Bild 2) von Bach zum WO stehen als erste Worte des Chores die aus BWV 214, nämlich „Tönet, ihr Pauken, erschallet Trompeten“, was genau zur musikalischen Unterlegung mit Pauken und Trompeten an dieser Stelle passt, sowohl zu Beginn ab Takt 33 als auch im späteren Teil ab Takt 89. Später hat Bach diesen Text durchgestrichen und durch das bekannte „Jauchzet, frohlocket“ ersetzt. Ob nun diese Korrektur seiner eigenen Intention entsprach oder, wie der holländische Bachforscher Kees van Houten meint, ob Bach durch die geistliche „Obrigkeit“ veranlasst wurde, den Text zu ändern  - - - ? Wir singen in dieser Aufführung am 10. Jan. 2016 den ursprünglich notierten Text, der so gut zu den feierlichen Pauken und Trompeten passt.

 

zu Kantate V

In dieser, für den Sonntag nach Neujahr geschrieben, Kantate folgt Bach seinem bevorzugten Kantatenmodell: ein großer Eingangschor („Ehre sei dir Gott gesungen“) und ein vierstimmiger Schlusschoral ("Zwar ist solche Herzensstube“) umrahmen die anderen Szenen. Dabei ist besonders anrührend das Zwiegespräch zwischen dem Turbachor (Turba, lat. „Schar“, "Volkshaufe", Fachbezeichnung für Chöre, die Menschengruppen darstellen, die am Geschehen unmittelbar beteiligt sind, im Gegensatz zu den Chören, die die Handlung reflektieren oder kommentieren) der Weisen mit wiederholtem „Wo, wo, wo ist der neugeborene König?“ und den Alt-Solo-Partien „Sucht ihn in meiner Brust…“. Die "verlogene" Rolle des Herodes wird durch den Evangelisten im Rezitativ beschrieben.

Die Besetzung des Orchesters ist mit Streichern und zwei Oboen d’amore (ohne Hörner, Trompeten und Pauken) die kleinste im WO.

 

zu Kantate VI

Der technisch anspruchsvolle Eröffnungschor »Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben« trumpft mit geradezu kriegerischen Klängen auf. Auffallend ist, dass das Orchester nicht wie in den übrigen Sätzen dem Chor begleitend zur Seite gestellt ist, sondern wie ein »fünfter Mann« die vier Stimmgruppen im „Kampf“ unterstützt. In der Schlussphase vereinigen sich schließlich Chor und Orchester zum dynamischen Höhepunkt des gesamten Oratoriums.

Ein Rezitativ des Herodes (Bass-Solist) in der Kantate VI  folgt auf die Begegnung der drei Weisen mit Herodes. Hier tritt Herodes auf als eine in wörtlicher Rede solistisch sprechende dramatische Person – eine Ausnahme im Weihnachtsoratorium. Die hinterlistige Falschheit seiner Aussage »Ziehet hin und forschet fleißig nach dem Kindlein, und wenn ihr’s findet, sagt mir’s wieder, dass ich auch komme und es anbete« drückt Bach durch eine freistehende, hoch ansteigende Tonfolge aus. Fast ironisch bzgl. seiner Glaubwürdigkeit endet das Rezitativ des Herodes mit einer absteigenden Verzierung auf der unbetonten letzten Silbe von „anbe-te“.

Der das Gesamtwerk beschließende Choral »Nun seid ihr wohl gerochen an eurer Feinde Schar« ist mit Orchester-Tutti besetzt und wirkt befreiend als ein festlicher Chor. „Gerochen = Gerächt“ sind die Menschen an den „Feinden“ – den Gefährdungen des Glaubens. Als Schlusssatz des Oratoriums steht dieser Gefahr die Geborgenheit im Glauben entgegen mit den Worten „Bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht.“

A.W.

 

Literatur:

Meinrad Walter, J.S. Bach Weihnachtsoratorium, Bärenreiter 2006

Kees van Houten: «Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!» in: Musik und Gottesdienst 64. Jahrgang 2010

J.W. de Vriend u-.a., Begleitheft zur CD-Weihnachts-Oratorium, 2007

Wikipedia

http://schoenewolf.com/bach-weihnachtsoratorium